IN BEWEGUNG | Kunst am Bau

DER BETRACHTER SIEHT WAS ER SIEHT.

Die Wandinstallationen von Volker Saul verstärken den Wunsch „in Bewegung“ zu bleiben, die verschiedenen Formen im Gehen und Laufen zu erkunden und immer wieder zu überprüfen. Über seine künstlerische Vorgehensweise und Beziehungen zwischen Architektur, Kunst und Musik spricht er mit Kerstin Stremmel.

Kerstin Stremmel: Lange Zeit hast du deine Wandzeichen in Räumen angebracht, die du dir selbst ausgesucht hast. Was hat dich am Gebäude des Berufskollegs von 3pass ArchitektInnen gereizt?

Volker Saul: Die Vorgabe hätte für meine Arbeiten nicht besser sein können. Die Sprache der Architektur entspricht mir sehr, und der Sichtbeton ist ein reizvoller Hintergrund für die Beinelemente. Die glatt lackierte monochrome Oberfläche setzt sich wunderbar von den lebendigen Grautönen des Sichtbetons ab. Die unterschiedlichen Materialien profitieren von einander, sie verstärken sich gegenseitig in ihrer Wirkung.

K.S.: Du sprichst von „Beinelementen“ und tatsächlich kann man, bei aller Abstraktion der Formen, vorwitzige Beine mit angewinkelten oder ausgestreckten Füßen entdecken. Das allein, also die lockeren Bewegungen in alle Richtungen, wirkt schwungvoll und stimmt bereits heiter. Was hat dich zu der Wahl der Farbe bewogen?

V.S.: Mir war klar, dass es eine helle, freundliche Farbe sein soll, die einerseits einen Kontrast zum Untergrund bildet, andererseits aber auch damit harmoniert. Auch die Farbtöne des Bodens und der Handläufe habe ich bei der Auswahl berücksichtigt. All das hat dazu geführt, dass es ein Gelbton sein sollte. Im Atelier habe ich dann auf großen Papieren Farbproben verschiedener Gelbtöne erstellt und diese anschließend vor Ort ausprobiert. Herausgekommen ist dabei eine RAL-Farbe, genannt Verkehrsgelb, dieser Farbton bringt Licht und Dynamik mit sich. Er passt einfach dorthin.

K.S.: Du schilderst das Zusammenspiel von Sichtbeton und den lackierten Oberflächen anschaulich, kannst du die gewünschte Wirkung noch etwas genauer beschreiben?

V.S.: Naja, erstmal vorweg: Sichtbeton ist ja nicht jedermanns Sache, weil er roh ist, pur gewissermaßen. Ich selber mag diese Materialästhetik aber genau deswegen sehr. Der Beton hat einen angenehmen Grauton, der in sich changiert und durch das Gießverfahren wie gewachsene Materialstrukturen aufweist. Dagegen setzt sich der glatte gelbe Lack gut ab, nur die Oberfläche zeigt, beim genaueren Hinsehen, Spuren des manuellen Auftragens mit der Rolle.

K.S.: Die Farbe stellt einen wichtigen Aspekt der Installationen dar. Die entscheidende künstlerische Leistung ist aber ja die Formfindung. Könntest du erklären, wie dieser Prozess abläuft?

V.S.: Als mir klar war, dass ich im Treppenhaus Beine laufen lassen wollte, ging es erst einmal darum, eine Stilistik dieser Beine zu finden. Der Frage nachzugehen, ob sie realistisch aussehen sollen oder nicht, und was an den Beinen interessant sein könnte. Die Formen sollten etwas Gemeinsames haben, aber auch sehr unterschiedlich sein, damit man auf jede einzelne neugierig wird. Außerdem wollte ich Eigenarten der Architektur mit einbringen. Das Geschwungene der Umläufe der Etagen ist mit darin, die Außenlinien der Beine haben ebenfalls Schwünge, das passt zur Architektur und zu dem, was in den Treppenhäusern geschieht, nämlich Bewegung und Dynamik. Als die Stilistik feststand, hab ich die Entwürfe mit Fineliner auf DIN A 4 Blättern gezeichnet, das waren rund 400 Blätter. Eine Auswahl habe ich vergrößert und Papierschnitte davon gemacht, so ca. 50 mal 70 cm groß. Durch diesen Prozess der Vergrößerung zeigt sich, welche Formen interessant und ästhetisch sind, dann kann ich eine definitive Auswahl treffen.

K.S.: Wie wichtig ist dir bei den Formen die Wiedererkennbarkeit, ist sie elementar, oder nur eine Möglichkeit von mehreren, deine Arbeiten wahrzunehmen?

V.S.: Der Betrachter sieht was er sieht ... Da gibt es kein richtig oder falsch. Aber ich arbeite natürlich mit Assoziationen. Die Beinformen habe ich zuerst realistisch gezeichnet: klar erkennbar, Bein ist Bein, und sonst nichts. Das klar Erkennbare interessiert mich aber nicht so sehr. Mich interessiert eher die Form, die mehrdeutig ist, die sich auf der Grenze zwischen abstrakter ästhetischer Form und „Abbild“ bewegt. Daher gehe ich dann einen Schritt weiter, verändere und verforme. Manche der Beinformen erkennt man vielleicht sofort, andere erst dann, wenn man mehrere gesehen hat, durch den Vergleich. Die Kunst am Bau bleibt ja lange und kann langsam erkundet und verstanden werden. Ich hoffe natürlich, dass die Nutzer des Gebäudes Lust haben sich damit auseinander zu setzen und offen darauf zugehen.

K.S.: „Pharao‘s Dance“ war 2014 der Titel einer Arbeit im Ausstellungsraum Jagla, wo die schwingenden Beine als Motiv an der Wand erstmals auftauchten. Die Assoziation mit dem Jazzstück von Joe Zawinul, bekannt als erstes Stück auf Miles Davies’ Album „Bitches Brew“, fand ich sehr anregend, zumal ich eine Kritik von Peter Wießmüller las, in der die Musik als „melodisch sehr abstrakt und chromatisch gestaltet“ beschrieben wird. Damit sind auch zwei wichtige Kriterien deiner Arbeit, Farbe und Abstraktion, erfasst. Magst du etwas über die Bedeutung von Titeln und von Musik in deinem Werk sagen?

V.S.: Der Titel der Arbeit für die Schule ist IN BEWEGUNG, da ist natürlich auch Musik mit drin. Meistens höre ich Musik beim Arbeiten, sie bildet einen eigenen Raum, der mich entspannt und inspiriert, sie trägt mich durch den Prozess des Zeichnens. Meine Titel haben oft, genau wie meine Arbeiten, mehrere Bedeutungsebenen. Bewegung als das, was in den Treppenhäusern passiert, rauf und runter, genauso rauf und runter geht es in der Lebensphase der Studierenden, zwischen Schule und Beruf, einer Zeit der Orientierung.

K.S.: Was sind Unterschiede, was die Gemeinsamkeiten bei den freien künstlerischen Arbeiten und den Auftragsarbeiten?

V.S.: Die Auftragsarbeiten haben inhaltlich und formal immer mit der vorhandenen Architektur zu tun, ihren Maßen, der Stofflichkeit, der Farbigkeit des Materials und mit der Funktion des Ortes. Der künstlerische Stil ist immer der Gleiche, sie unterscheidet sich nicht von den freien Arbeiten.

K.S.: Bei einem umfangreichen Projekt wie diesem, mit insgesamt fünfzehn Formen, benötigst Du bei der Realisierung sicherlich die Unterstützung von Fachleuten. Beschreib doch bitte, bis zu welchem Punkt du die Dinge im künstlerischen Alleingang machst und wie es dann weitergeht.

V.S: Alles beginnt ja mit den Zeichnungen auf DIN A4 Blättern. Es sind Umrisszeichnungen, die ich einscanne und deren Fläche ich digital ausfülle, das geht schneller und präziser als in Handarbeit. Eine Auswahl vergrößere ich, schneide sie aus Papier aus und bemale sie mit Acrylfarbe. Und wiederum davon eine kleine Auswahl wird als Aluminiumschnitt ausgeführt. Dazu fotografiere ich den Papierschnitt, damit ein Grafiker davon eine digitale Datei erstellt für die Metallfirma. Die schneidet dann mit dem Laser die Formen aus. Die Weiterverarbeitung, also Kanten abrunden, Oberfläche anrauen, grundieren, mit der Hand lackieren, Aufhängevorrichtung anbringen, das alles machen Fachleute für mich, dazu ist meine Handschrift nicht nötig.

K.S.: Gefällt dir der Ort, also die Treppenhäuser, als Ausstellungsraum?

V.S.: In den Treppenhäusern haben die Arbeiten die volle Aufmerksamkeit. Sonst sind ja keine anderen Objekte vorhanden, außer den Handläufen. Wenn man aus der Halle in die Treppenhäuser geht, ist das Erste, was man sieht, eine Arbeit, sie zieht einen herein und bildet den Auftakt zum Rauf- oder Runtergehen, das gefällt mir.

K.S.: Aber es gibt ja doch Elemente wie Feuerlöscher oder Notausgangschilder, die ich allerdings überhaupt nicht als störend empfinde, weil deine Formen sich selbstbewusst gegen diese funktionalen Details durchsetzen. War das, ebenso wie die Tatsache, dass die Schlagschatten deine Formen noch stärker präzisieren, eine positive Überraschung? Oder lässt sich das alles planen und vorhersehen?

V.S.: Die Auswirkungen des Lichts waren das Einzige, was nicht so ganz planbar war. Die Lichtleiste liegt ja genau in der Wand / Decken-Fuge, der Einfallswinkel ist also extrem flach. Daher waren die Überraschung und Freude groß, als sich zeigte, dass Licht und Schatten die Formen noch knackiger erscheinen ließen.


Kerstin Stremmel ist promovierte Kunsthistorikerin und arbeitet als freie Kuratorin und Autorin unter anderem für die Neue Zürcher Zeitung. Ihren ersten journalistischen Text schrieb sie 1993 in der Kölner StadtRevue; es handelte sich um ein Interview mit Volker Saul unter dem Titel „Zeit im Raum“.


AZAV-Zertifikat-Siegel
  • Text:Kerstin Stremmel
  • Titelbild & Katalogfoto:Peter Hinschläger
  • Fotos (Bilderreihe):Carsten Arntz, Reinhold Horz